Leseprobe aus Band 3 „Archibalds Weihnachten“

Kurzinhalt

Wenn Tiere in Not geraten, sei es, weil sie alt sind und ihre Sinne schwächer werden, weil sie verunglückt sind oder weil sich die Umwelt in ihrer Heimat verändert, dann müssen sie oft um ihr Überleben kämpfen.

So ergeht es den Helden dieses Buches, einem Uhu, einer Wanderratte, einem Fuchs und einem Luchs. Diese vier treffen zufällig aufeinander. Normalerweise sind sie ärgste Feinde und eher Jäger und Beute, aber ganz sicher nicht Partner oder Freunde. Nun aber sind die ungleichen Tiere aufeinander angewiesen, um zu überleben. Und so beschließen sie, ihre Probleme gemeinsam zu lösen.

Und die vier haben Glück im Unglück – zuerst begegnen sie dem Känguru Kimu, das fern seiner australischen Heimat in der Nähe der Menschen lebt, und dann stößt noch Archibald zu ihnen.

Eigentlich ist die Schutzengelmaus ja auf Urlaubsreise, aber das kann man getrost vergessen, wenn andere Lebewesen Hilfe brauchen.

Auf einer langen, gefährlichen Reise durch Schnee und Eis, über Felder und durch Wälder müssen die sechs Freunde viele Abenteuer meistern und sich immer wieder gegenseitig helfen.

Am Heiligabend findet die Reise ein glückliches Ende. Die Menschen nehmen die geschundenen Tiere auf, verpflegen und versorgen sie und geben ihnen einen warmen Unterschlupf. In der Heiligen Nacht sind die Tiere gerettet und schauen aus ihrem warmen Zimmer auf einen großen beleuchteten Weihnachtsbaum, mit einem wunderschönen strahlenden Stern auf seine Spitze.

In dieser Nacht beschließen Uhu, Ratte, Fuchs und Luchs, beieinander zu bleiben und künftig gemeinsam zu leben. Eine gute Entscheidung.
 

Kapitel 1 – Sternenlichter

Der Jäger lag schon seit einigen Tagen geduldig auf der Lauer.

Er hatte großen Hunger und er machte sich Sorgen, dass es dieses Jahr wieder nichts werden würde. Er wartete schon viel zu lange auf die Ankunft seiner Beute. Es war schon sehr kalt an diesem frühen Morgen im Spätherbst. Aber wenigstens musste er nicht frieren. Sein Fell hielt ihn warm und trocken. Er trug schon sein Winterfell, schön dicht und lang. So lang, dass er seinen Kopf fast ganz hineinstecken konnte. Das hatte ihm schon oft geholfen, wenn er nicht in seiner Höhle schlafen konnte. Wenn der Nachtwind, der von Norden über das flache Land kam, Schnee und Eis über das Land trieb. Dann rollte er sich in einer moosgefüllten Vertiefung im Boden zusammen, steckte seinen Kopf in sein Fell und konnte sich mit seinem eigenen Atem wärmen.

Flocke für Flocke deckte der Schnee ihn dann zu. Ihn störte das nicht, er hatte ja seinen perfekten Winterpelzmantel immer dabei. Unter dem Schnee und ohne den Wind konnte er es dann problemlos aushalten.

Nun schaute der Jäger in den Himmel. Die Wolken hingen tief, aber manchmal kam ein Wolkenloch vorbei und dann konnte er den dunklen Nachthimmel sehen. Er sah Tausende von funkelnden Sternen. Hier draußen wohnten keine Menschen, und hier gab es keine Lichter und Straßenlaternen. Hier draußen war es nachts ganz dunkel.

Es war noch gar nicht lange her, da war der Himmel blau und nicht wolkenverhangen. Und blauer Himmel bedeutete Sonne, und Sonne bedeutete Wärme. Er betrachtete wehmütig den Himmel. Durch die Wolkenlöcher schimmerten immer wieder die Sterne.

Seit Jahren lag er zu dieser Jahreszeit immer an dieser Stelle. Das war der perfekte Ort, um sich auf die Lauer zu legen. Sein Vater hatte ihm diesen Ort gezeigt, und der kannte ihn schon von seinem Vater. So hatte er aus Sträuchern Büsche wachsen sehen und aus Büschen waren kleine Bäume geworden.

Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er hob seinen Kopf und war sofort hellwach. Seine Ohren drehten sich von selbst in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte. War das endlich das, was er so sehnlich erwartete? War das der Ruf, der ihm einen Winter ohne Hunger ankündigte? Er wollte nicht wieder in den Hinterhöfen der Menschen herumschleichen und sich von dem Müll ernähren müssen, den sie übriggelassen hatten. Außerdem schmeckten ihm diese Reste nicht, und er fand es würdelos, in den Abfällen der Menschen zu wühlen.

Der Jäger lauschte angestrengt, seine fast weißen Ohren waren aufgestellt und drehten sich langsam in alle Richtungen, um jedes noch so leise Geräusch einzufangen. Er würde ihr Kommen hören, auch wenn sie noch weit entfernt waren.

Nach einer kleinen Ewigkeit legte er seine Ohren wieder an und ließ seinen Kopf enttäuscht auf seine Vorderbeine sinken. Es war nicht der Ruf gewesen, auf den er sich so freute.

Unser Jäger seufzte leise. Jedes Jahr kamen sie später, die Wildgänse auf ihrem Weg nach Süden. Hier mussten sie vorbeikommen. Die Berge vor ihnen waren eigentlich zu hoch, um darüber hinwegzufliegen. Aber es gab einen Bruch in der Bergkette. Eine tiefe Schlucht und die einzige Möglichkeit, zwischen den Bergen hindurchzufliegen. Und dieses Tal war der letzte ebene Landeplatz vor dem anstrengenden Flug über die Alpen in den Süden. Deshalb machten die Wildgänse hier noch einmal Rast.

Der Jäger dachte an den vergangenen Winter. Da waren nur noch sehr wenige Wildgänse gekommen, viel weniger als die Jahre zuvor. Vor allem aber viel zu wenige, um ihn und all die anderen Jäger satt zu machen. So hatten sie alle schwere Zeiten erlebt.

Darauf war ein heißer und trockner Sommer gefolgt. Es hatte viel zu wenig geregnet, das Gras war verdorrt. Wenn es aber kein Gras gibt, dann gibt es auch keine Blumen, keine Pilze und auch keine Kräuter. Also gab es auch keine Bienen und Insekten, die mit ihrer Arbeit das Tal wieder grün werden ließen. Das Wetter war anders als damals, als er noch gemeinsam mit seinem Vater durch ihr Tal gestreift war.

Er wusste nicht, warum sich das alles veränderte. Aber man spürte es ganz deutlich: Wenn der Winter kam, dann kam er schneller als damals und es wurde viel kälter. Und die Sommer waren heißer und trockener als gewohnt. Wenn es dann mal regnete, dann fielen wahre Sturzbäche vom Himmel und die Flüsse traten über die Ufer. Der harte, trockene Boden konnte den Regen nicht aufnehmen, und so riss das Wasser mehr und mehr Erde mit sich.

Er schaute sich prüfend um. Er wusste, wo die anderen Jäger lagen und warteten, so wie er. Aber ohne Wildgänse würde sie alle hungern müssen. Daran mochte er gar nicht denken.

Und dann hatte er vor ein paar Tagen zu allem Überfluss auch noch einen Wolf heulen gehört. Wölfe kamen hin und wieder aus dem Osten in dieses Tal. Wölfe waren viel stärker als er. Und sie kamen nie allein. Es waren immer ganze Rudel. Sie würden sofort das Tal beherrschen, und er würde keine Chance gegen sie haben. Wenn sie blieben, wäre sein Leben noch schwerer. Für ihn als Luchs blieb dann wenig Platz in diesem Tal. Er müsste sich auf den Weg machen, und er wusste nicht, wohin er dann gehen sollte.

Unser Freund seufzte und legte seinen Kopf wieder auf seine Vorderpfoten. Noch einen Hungerwinter würde er hier nicht überleben. Er rollte sich zusammen und steckte seine Nase unter seinen Schwanz. Heute Nacht würde er noch einmal an seinem gewohnten Platz schlafen. Und morgen, gleich morgen früh, würde er loslaufen müssen, denn wenn er bliebe, würde das nicht gut für ihn ausgehen.

Am nächsten Morgen machte sich der Luchs auf den Weg. In den Bergen im Süden würde er erfrieren, im Osten waren die Wölfe, im Westen ebenfalls nur Berge. So machte er sich auf den Weg. Der Luchs lief nach Norden. Dort im Norden würde vielleicht alles besser werden.
 

Auszug aus Kapitel 2 – Alte Zeiten

„Die Ratte ist zu weit weg“, sagte eine Stimme. Der Fuchs schaute sich um, konnte aber niemanden entdecken. Die Stimme sprach: „Hier oben im Baum, guck nach oben.“ Der Fuchs hob den Kopf, er wusste dass er gerade keine gute Vorstellung gegeben hatte. Der Uhu neigte den Kopf zur Seite: “Sag mal, mit dem Rennen hast du es nicht so, oder?“

„Komm runter von deinem Baum und ich zeige dir, wer von uns besser rennt!“ Der Fuchs war sehr böse.

„Hoho, ruhig, Fuchs, ich will gar nicht auf deine Kosten lachen. Ich habe letzte Woche auch versucht, ein Kaninchen zu jagen. Ich habe es auch erwischt. Nur leider entpuppte sich das Kaninchen als ein alter Fellpantoffel. Meine Augen sind halt auch alt. Wir beide sind nicht mehr die Jüngsten, wir müssen uns schwer ranhalten, wenn wir nicht eines Tages verhungern wollen.“

„Und – hast du einen praktischen Vorschlag, oder spielst Du nur die weise alte Eule auf dem Baum?“

„Erstens: Ich bin ein Uhu, keine Eule. Zweitens: Ich bin größer, eigentlich schneller und auf alle Fälle weiser als so eine Eule.“

„Okay, du spielst also den weisen alten Uhu, der auf dem Baum von seinen Weisheiten lebt?“

„Ich habe es nicht nötig, mich vor einem alten lahmen Fuchs zu rechtfertigen“, sagte der Uhu und drehte den Kopf nach hinten.

Lange saß der Fuchs unter dem Baum und überlegte was er nun tun könnte.

„Hey Uhu, es tut mir leid, ich habe mich schlecht benommen.“ Der Uhu drehte den Kopf und sagte: „Hier oben versteht man kein Wort.“ Der Fuchs nahm ein wenig Haltung an und sprach: „Sehr verehrter Herr Uhu, ich habe mich nicht richtig benommen und bitte um Entschuldigung.“

Der Uhu schmunzelte: „Na, geht doch, ich komme zu dir runter und erkläre dir meinen Plan.“

Und so ereignete sich schon am nächsten Tag folgendes:

Die Wanderratte kommt beschwingt und pfeifend den Waldweg entlang und bleibt plötzlich verwundert stehen. Direkt vor ihr, auf dem dicksten Ast des Baumes, sitzt der alte Uhu, breitet die Schwingen aus und ruft: „Huhuuu, ich bin der größte Jäger in diesem Wald, ich verbreite Angst und Schrecken.“

Mit diesen Worten kippt der Uhu nach vorne ab und rast im Sturzflug auf den Boden zu. Kurz vor dem Boden fängt er sich ab, streift mit einem Flügel den Boden, bleibt an einer Baumwurzel hängen, dreht sich um die eigene Achse und bleibt mit gespreizten Flügeln auf dem Rücken liegen...

Wow!

Für einen Moment schien die Welt stillzustehen.

Kein Vogel war zu hören, kein Grashalm wiegte sich im Wind, es war mucksmäuschenstill im Wald.

Dann warf sich die Wanderratte, die eben noch verdutzt geschaut hatte, auf den Boden. Sie prustete vor Lachen, trommelte mit den Pfoten auf die Erde, und ihr herzhaftes Lachen schallte durch den ganzen Wald.

Mit Tränen in den Augen rief sie: „Was ist das nur für ein Wald! Ein lahmer Fuchs und ein Sturzflug-Uhu! Ich kann nicht mehr, was für ein toller Wald, ich kann nicht mehr!“

Die Wanderratte lachte noch immer, als sie plötzlich eine große haarige Pfote auf ihrem Schwanz spürte und eine zweite Pfote schwer auf ihren Rücken drückte. Lautlos hatte sich der Fuchs aus dem Gebüsch angeschlichen und die Ablenkung genutzt, um die Wanderratte einzufangen.

„Hallo, ich bin es, der alte Fuchs, kennst du mich noch?“
 

Auszug aus Kapitel 6 – Mecki

Damals, als Mecki noch zu Hause gewohnt hatte, oben unter dem Dach, in seinem kleinen gemütlichen Zimmer, da war ein Zirkus in sein Dorf gekommen.

Er war viel allein, sein Vater hatte die Familie verlassen und seine Mutter hatte neben ihrer Arbeit noch einen Job am Abend.

Eines Tages war er an einem Schild vorbeigekommen. Darauf hatte gestanden:

„Achtung – Achtung!

Der berühmte Zirkus Sonnenschein kommt zu Ihnen in die Stadt. Besuchen Sie den Zirkus Sonnenschein. Ab Sonntag auf der Festwiese vor der Stadt.

Mecki hatte schmunzeln müssen. Was für eine unglaubliche Übertreibung: “... auf der Festwiese vor der StadT.“ Es war ein Dorf, wo er wohnte. Und genaugenommen war sogar das schon übertrieben. Aber das wollte natürlich niemand auf dem Plakat lesen. Wie hätte das denn ausgesehen: „Der berühmte Zirkus Sonnenschein kommt in Ihr Dorf.“

Schon am Samstag schaute Mecki zu, wir das große rot-weiße Zirkuszelt aufgebaut wurde. Dabei konnte er auch aus der Entfernung die Tiere sehen. Es gab Kamele, Ziegen, Hunde und eine große Echse. Aber vor allem gab es ein Känguru, ein großes graues Känguru.

Mecki hatte in einem Buch gelesen, dass Kängurus hüpfen, boxen und treten können. Das musste er unbedingt im Zirkus sehen. Leider hatte seine Mutter für so etwas kein Geld übrig, und so konnte er keine Eintrittskarte kaufen und musste draußen bleiben.

Aber Mecki hatte einen Plan. Er schlich sich kurz nach Beginn der Vorstellung zum Zelt und fand eine kleine Lücke unter der Plane. Schnell krabbelte er darunter durch und fand sich am Übergang von den Käfigen zur Manege wieder. Er konnte nicht alles in der Manege sehen, aber alle Tiere mussten an ihm vorbei.

Endlich war auch das Känguru an der Reihe, seine Kunststücke zu zeigen. Dazu wurde in der Manege extra ein Gestell aufgebaut, über das es springen musste. Und nach jedem Sprung wurde die Latte ein wenig höher gelegt.

Irgendwie sah das Känguru traurig aus, fand Mecki. Es schien gar keinen Spaß daran zu haben, über die Latte zu hüpfen. „Vielleicht ist es krank“, dachte Mecki und das Känguru tat ihm schrecklich leid, denn auch die Kinder waren offensichtlich enttäuscht und buhten das Känguru aus:

„Oh, doof!“

„Buuuh!“

„So hoch kann ich auch hüpfen ...“

Der Dompteur führte das Känguru aus der Manege, es gab fast keinen Applaus.

Draußen stürmte ein kleiner dicker Mann auf das Känguru zu und schrie mit hochrotem Kopf und pipsieger Stimme: „Du altes Mistvieh, du machst die Kinder traurig. Traurige Kinder bringen kein Geld. So ein doofes Känguru brauche ich hier nicht.“

Der Dompteur versuchte den Mann zu beruhigen. „Herr Direktor, ich glaube Kimu ist krank, er hat ganz glasige Augen. Wir müssen einen Tierarzt holen.“

“Nichts werde ich holen, dafür ist kein Geld da. Machen Sie dieses Vieh gesund, sonst kommt es weg! Ein Tierarzt kommt gar nicht in Frage.“ Sein Tonfall klang jetzt drohend. „Morgen Nachmittag um vier Uhr ist das Vieh gesund, steht in der Manege und hüpft. Und zwar drei Meter hoch, aus dem Stand. Vertrag ist Vertrag!“

Dann stapfte der Direktor weg.

Mecki konnte seine Beobachtung nicht vergessen. Wie konnte jemand nur so herzlos sein und was konnte das arme Känguru dafür, dass es krank war? Sein Entschluss stand fest: Das Känguru musste befreit werden.

In der Nacht, als alle fest schliefen, schlich er leise zum Gehege des Kängurus, öffnete das Gatter und scheuchte Kimu mit wild fuchtelnden Armen und leisem „sch, sch“

aus seinem Gefängnis in die Freiheit.

Hinaus in die dunkle Nacht.

Was er nicht bedacht hatte: Der Tierpfleger schlief neben dem kranken Känguru.

Nun war Kimu das Känguru verschwunden, aber Mecki hatten sie erwischt.

Später, vor dem Jugendrichter, erzählte er dann, wie der Direktor geschrien hatte, dass das Känguru verschwinden sollte. Da habe er halt gedacht, dass es dann ja auch gleich verschwinden könnte. Gott sei Dank hatte seine Mutter eine Versicherung, die den Schaden bezahlte. Aber als Mecki alt genug war, musste er 160 Stunden Sozialarbeit leisten, ohne Geld dafür zu bekommen.

So war er in das Krankenhaus in Gailingen gekommen. Er hatte sich viel Mühe gegeben, und nach der Schule hatte man ihm sehr gerne eine Stelle für ein Freiwilliges Jahr angeboten. Und weil es nach Hause so weit war, durfte Mecki auf dem Klinikgelände wohnen.

Sein Zimmer war ziemlich klein und einfach eingerichtet, aber es war sauber, er bekam zu essen und hatte sein eigenes kleines Reich.

In seiner Freizeit fuhr Mecki oft auf seinem alten Fahrrad durch die Wälder und Felder, die sich rund um die Stadt erstreckten.

Und eines Tages sah er es.

Sein Känguru saß am Rand des Waldes und schaute aufmerksam den Weg hinunter. Den Weg, den Mecki gerade entlang fuhr.